„Ich möchte aus erster Hand die Entwicklung der Intensivkapazität im Krankenhaus Brindsen im Jahre 2020 beschreiben. Wenn Sie das in Ihrem Blog verwenden wollen, bitte ich um Anonymisierung.
In der frühen Phase der Pandemie (03/04 2020) wurden bei uns in der Region die Kommunikationsstrukturen zur Bewältigung der Pandemie geschaffen. An der Kommunikation waren der Landkreis, die Kliniken sowie das Landesamt für Gesundheit beteiligt. Im Ergebnis wurde festgelegt, wieviel Beatmungsplätze in jedem Haus für den Fall der Fälle zur Verfügung stehen würden.
In unserem Haus gibt es regulär 12 Intensivbetten, von denen maximal 8 gleichzeitig beatmet werden können. Es existieren zwei Reservebeatmungsgeräte, zwei tragbare Beatmungsgeräte, vier Beatmungsgeräte im OP und noch jeweils zwei Beatmungsgeräte im Aufwachraum und in der Notfallambulanz. Als dann der Beschluss gefasst wurde, dass Beatmungskapazitäten freigehalten werden sollen und diese Vorhaltung der Kapazitäten honoriert werden soll, wurde schnell klar, dass in Brindsen 20 Plätze für beatmungspflichtige Patienten bestehen.
Unsere Intensivkapazität hat sich also um 40% erhöht, die Beatmungskapazität sogar um 150%. Im Fall der Fälle hätten wir das auch stemmen können, wenn denn wirklich ein epidemisches Geschehen von nationaler Tragweite bestanden hätte. Im weiteren Verlauf war es dann so, dass die Universitätsklinik alle Covid-Fälle haben wollte. Wir hatten nichts dagegen…
Wir hatten dann trotzdem eine kurze Zeit mit Operationsverbot für elektive Eingriffe von unserer Geschäftsführung. Es wurde auch kurz überlegt, einen Teil der Pflegekräfte in Kurzarbeit zu schicken, es war dann aber mit Überstundenabbau getan.
Im weiteren Verlauf kam dann die 75%-Regelung [Subvention, wenn Intensiv zu mehr als 75% belegt; N.H.], da hatten wir wieder nur 12 Betten. So sind in Brindsen innerhalb eines Jahres 8 Betten entstanden und wieder abgebaut würden. Nicht nur die Banken können zaubern. Es wurde meines Wissens nirgendwo ein Bett verrückt, das war wie in der Schlacht um Berlin, als die deutschen Divisionen nur noch auf der Karte existierten.
Wer wird auf die Intensivstation gelegt?
Was für Fälle auf unserer Intensivstation liegen, wird auch in gewisser Weise bestimmt vom Patientenaufkommen. Eine alte Dame mit Oberschenkelhalsbruch, eine Schilddrüsenoperation, eine konventionell durchgeführte Gallenblasenentfernung usw. kann ich mit guten Argumenten peripher oder auf Intensivstation nach der Operation betreuen lassen, da habe ich als Chirurgin immer das letzte Wort.
Das Argument geht etwa so: „Das ist ein Oberschenkelbruch, eine äußerst schwere Verletzung, die hätte ich gern hinterher auf Intensivstation.“ Ich kann aber genauso sagen: „Für eine 20minütige OP ohne nennenswerten Blutverlust muss die arme Frau nicht an Apparate angeschlossen werden.“ Langer Rede kurzer Sinn: ich habe es in der Hand, ob meine Intensivstation vollständig belegt ist, oder nicht.
Im Moment haben wir zwei freie Betten, sechs Beatmungen laufen. Ich könnte Stand heute zwei echte Notfälle im Sinne einer lebensbedrohlichen Erkrankung behandeln. Die vier nicht beatmungspflichtigen Patienten könnte ich auch auf der Normalstation betreuen, ich halte aber eine engmaschige Überwachung noch für sinnvoll, deshalb bleiben sie da, wo sie sind.
Sollte jemand kommen, der die Kapazität nötiger braucht, werden diese dann verlegt. Mein alter Chef hat immer gesagt: Du hast immer dann ein Intensivbett, wenn es deinem Patienten schlechter geht, als einem auf der Intensivstation.
Der Mechanismus des ominösen Intensivbetten-Verlustes in Deutschland ist also ein einfaches Zahlenspiel. Als Deutschland noch gut vorbereitet sein sollte, hatten wir viele Betten; als es wichtig wurde, dass die Pandemie uns voll im Griff hat, waren die Betten dann weg. Die kurze Pause bei den Operationen war bei uns nie durch fehlende Kapazitäten bedingt, sondern dadurch, dass es wirtschaftlich sinnvoller war, das Bett frei zu lassen.